Der Zusammenhang zwischen exekutiven Funktionen und grammatischen Fähigkeiten
Hatten Sie schon einmal Schwierigkeiten damit, komplexe Sätze mit ungewöhnlichen Strukturen zu verstehen? Wenn ja, dann sind Sie nicht allein. Neueste Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass unsere Fähigkeit, Grammatik und Sprache zu verstehen, eng mit unseren exekutiven Funktionen zusammenhängt - den allgemeinen kognitiven Prozessen, die uns helfen, zielgerichtet zu handeln und zu denken.
In unserem Alltag ermöglichen es uns die exekutiven Funktionen, ablenkende oder irrelevante Gedanken und Handlungen zu unterdrücken und gleichzeitig relevante Handlungen zu erleichtern. So mussten wir zum Beispiel während der COVID-19-Pandemie den Impuls unterdrücken, die Hand zu schütteln, wenn wir neue Leute kennenlernten.
Neuere Studien haben ergeben, dass ähnliche Gehirnmechanismen aktiviert werden, wenn es um das Verstehen von Sprache geht, insbesondere von Sätzen mit komplexen und ungewöhnlichen Strukturen.
Ein solcher Satz könnte aus einem objektrelativen Satz bestehen. Schauen wir uns die folgenden zwei Sätze an:
1. Die Giraffe, die dem Zebra folgt, ist in eine Pfütze getreten.
Dieser Satz hat einen Subjekt-Relativsatz, in dem die Giraffe, die das Subjekt des Hauptsatzes ist, auch das Subjekt des Relativsatzes wird. Normalerweise verstehen wir leicht, dass die Giraffe diejenige ist, die dem Zebra folgt und in eine Pfütze tritt.
2. Die Giraffe, der das Zebra folgt, ist in eine Pfütze getreten.
Dieser Satz hingegen ist ein Objekt-Relativsatz, in dem das Subjekt des Hauptsatzes (die Giraffe) zum Objekt des Relativsatzes wird. Dieser Satztyp ist seltener als Sätze mit Subjekt-Relativsätzen und es kann schwierig sein, zu interpretieren, wer wem folgt. Erwachsene und ältere Kinder mit typischen Sprachfähigkeiten können ihn richtig verstehen und würden bei einer Satz-Bild-Zuordnungsaufgabe das richtige Bild auswählen. Jüngere Kinder und Personen mit atypischen Sprachfähigkeiten verstehen den Satz jedoch oft falsch und interpretieren ihn als Subjekt-Relativ und würden bei einer Satz-Bild-Zuordnungsaufgabe das falsche Bild auswählen.
Warum fällt es uns dann so schwer, Objektrelativsätze zu verstehen? Eine mögliche Erklärung ist, dass Objektrelativsätze die exekutiven Funktionen stärker Beanspruchen als Subjektrelativsätze. In objektrelativen Sätzen finden wir zwei gegensätzliche Interpretationen: 1) die subjektrelative Interpretation (Subjekt des Hauptsatzes wird zum Subjekt des Relativsatzes), die nicht korrekt ist, aber aktiviert wurde, weil subjektrelative Sätze häufiger vorkommen als objektrelative Sätze und 2) die objektrelative Interpretation (Subjekt des Hauptsatzes wird zum Objekt des Relativsatzes), welche die korrekte Interpretation ist. Um Objektrelativsätze also richtig zu verstehen, müssen wir unsere exekutiven Funktionen nutzen, um die wahrscheinlichere, aber falsche subjektrelative Interpretation zu blockieren und die weniger wahrscheinliche, aber richtige objektrelative Interpretation damit durchzulassen. Personen mit schwachen exekutiven Funktionen, wie z. B. Kleinkinder, dessen exekutive Funktionen noch nicht voll entwickelt sind, oder Personen mit bestimmten Erkrankungen, welche die exekutiven Funktionen beeinträchtigen, werden Schwierigkeiten haben, Objektrelativsätze zu verstehen. Dahingegen werden Personen mit guten Exekutivfunktionen den Satz mit weniger Schwierigkeiten verstehen.
Forschungsergebnisse unterstützen diese Erklärung. Studien haben nämlich gezeigt, dass Kinder, die bei Aufgaben der exekutiven Funktionen besser abschneiden, auch bei Grammatikaufgaben besser abschneiden 1. Kinder mit einer Sprachentwicklungsstörung, schneiden bei Aufgaben der exekutiven Funktionen schlechter ab als Kinder mit einer typischen Sprachentwicklung 2. Darüber hinaus gibt es Überschneidungen in Bereichen, die bei Aufgaben zu exekutiven Funktionen und Grammatikaufgaben aktiviert werden, was ein weiterer Beleg für den Zusammenhang zwischen beiden ist. Ein weiterer Beweis des Zusammenhangs zwischen exekutiven Funktionen und Grammatikfähigkeiten, sind Trainingsstudien, welche zeigen, dass die Absolvierung eines Trainings im Bereich der exekutiven Funktionen zu einer verbesserten Grammatikverarbeitung bei Erwachsenen führt (z. B. 3). Priming-Studien zeigen, dass selbst eine kurze Beschäftigung mit einer Exekutivfunktionsaufgabe die Leistung bei einer nachfolgenden Grammatikaufgabe verbessert4.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass, wie durch Untersuchungen bewiesen wurde, die exekutiven Funktionen mit den grammatikalischen Fähigkeiten im Zusammenhang stehen. Ein besseres Verständnis dieser Beziehung wird dazu beitragen, ein präziseres Bild zu schaffen, wie wir in der Lage sind zu sprechen und andere mühelos zu verstehen. Gleichzeitig wird es auch möglich, die genaue Ursache von Problemen bei verschiedenen Sprachstörungen zu deuten. Dieses Wissen kann zu einer effizienteren Identifizierung und auch Behandlung von Sprachstörungen führen.
1Kaushanskaya, M., Park, J. S., Gangopadhyay, I., Davidson, M. M., & Weismer, S. E. (2017). The relationship between executive functions and language abilities in children: A latent variables approach. Journal of Speech, Language, and Hearing Research, 60(4), 912-923. LINK
2Ladányi, E. & Lukács, Á. (2019). Word Retrieval Difficulties and Cognitive Control in Specific Language Impairment. Journal of Speech Language and Hearing Research, 62(4), 918-931.
3Hussey, E. K., Harbison, J., Teubner-Rhodes, S. E., Mishler, A., Velnoskey, K., & Novick, J. M. (2017). Memory and language improvements following cognitive control training. Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory, and Cognition, 43(1), 23.
4Thothathiri, M., Asaro, C. T., Hsu, N. S., & Novick, J. M. (2018). Who did what? A causal role for cognitive control in thematic role assignment during sentence comprehension. Cognition, 178, 162-177.